Sonntagnachmittag in einem angesagten Hamburger Club: Es wird Musik-Bingo gespielt, dazu gibt es Kuchen und Eierlikör und anschließend ist Disco. Doch auf der gut gefüllten Tanzfläche bewegt sich nicht das übliche Partyvolk, sondern ältere Menschen ab 60. „Halbpension“ heißen diese Seniorennachmittage der etwas anderen Art. Organisiert werden sie von „Oll Inklusiv“, einer gemeinnützigen Initiative, die 2018 von der Musik- und Kulturmanagerin Mitra Kassai gegründet wurde.
Mit ihren Veranstaltungen richtet sich Kassai an „die jüngsten Alten, die es je gab“, wie sie sagt: eine Generation, die eine ganze andere Vorstellung vom Altwerden hat als noch ihre Eltern. Oft legt Kassai selbst die Platten auf, Rock ’n‘ Roll und Rockklassiker, die die Senioren und Senioritas, wie sie sie liebevoll nennt, noch aus ihrer Jugend kennen. Immer wieder treten bei den monatlich stattfindenden Nachmittagen auch Persönlichkeiten aus Musik, Literatur und Gesellschaft auf. Denn dank ihrer früheren Tätigkeit ist Kassai noch immer gut in der Szene vernetzt.
Mit einem Team aus 40 Helferinnen und Helfern organisiert Oll Inklusiv außerdem Ausflüge und Event-Besuche für Menschen über 60. Mit größeren Gruppen waren sie schon im Musical „König der Löwen“ und beim legendären Heavy-Metal-Festival Wacken, haben Ausflüge in die Nachbarschaft und aufs Land gemacht. Dabei gehe es auch darum, „Leute rauszuholen aus der Einsamkeit“, wie Kassai in einem NDR-Fernsehbeitrag sagt.
Die Idee mit der gemeinnützigen Organisation kam der Musikmanagerin im Zuge der vielen Gespräche mit älteren Menschen, die sie während ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in Seniorenresidenzen führte. Einsamkeit und auch Armut sehe man Menschen nicht an, so Kassai. Deshalb werden die Konzert-, Theater- oder Musicalbesuche über Spenden finanziert und sind für die Senioren und Senioritas kostenlos. Auch für den Kuchen, der immer dabei ist, müssen sie nichts zahlen.
Über die Oll Inklusiv-App können sich die Senioren und Senioritas auch direkt miteinander austauschen. So ist die Veranstaltung „Volle Kanne Teehaus“ aus der Gemeinschaft heraus entstanden. Dabei laden die Senioren und Senioritas gemeinsam mit dem Oll Inklusiv-Team regelmäßig ins Teehaus im Hamburger Park „Planten un Blomen“ ein. Sie bieten Kurse an, in denen sie ihre eigenen Fähigkeiten weitergeben, Malen zum Beispiel oder kreatives Schreiben.
Zentrale Anlaufstellen
Oll Inklusiv ist bislang nur in Hamburg aktiv. Doch auch anderswo lassen sich zahlreiche Angebote gegen Einsamkeit (nicht nur) für Seniorinnen und Senioren finden. Einen Überblick gibt beispielsweise das Kompetenznetz Einsamkeit. Hier gibt es eine Angebotslandkarte, die Initiativen und Vereine in ganz Deutschland aufführt. So vermittelt der in mehreren Großstädten aktive Verein „Freunde alter Menschen“ Besuchspartnerschaften: Ehrenamtlich Engagierte besuchen hier Menschen über 75, die nicht mehr mobil und fit sind, alleine leben, vielleicht keine Angehörige in der Nähe haben und sich deswegen einsam fühlen.
Gemeinsam geht man zu Veranstaltungen oder einfach nur spazieren. Der Verein organisiert außerdem Ausflüge in den Zoo, ins Museum oder in die Innenstadt. Es gibt Spielenachmittage, Erzählcafés, Kaffeeklatsch und gemeinsame Mittagessen. 341 Besuchspartnerschaften und 63 Telefonfreundschaften verzeichnet die Organisation aktuell in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main und München.
Eine schöne Möglichkeit, in Gesellschaft zu sein und Musik zu erleben, sind die Seniorenchöre, die es in vielen Städten gibt. Gemeinsam zu singen, erzeugt ein Gefühl von Verbundenheit. Selbst wer viele Jahre nicht gesungen hat, kommt mit ein bisschen Übung wieder rein. Die meisten Seniorenchöre haben ihr Repertoire an die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst. Beispielsweise werden gut lesbare Notenblätter verwendet und Stücke gesungen, die der Stimmlage älterer Menschen entsprechen.
Und nicht zuletzt ist Singen gut fürs Gehirn. Bei Demenz kann es nachweislich den Abbauprozess verlangsamen. Auch wenn das Sprechen nicht mehr funktioniert, können Menschen, die beispielsweise an Alzheimer erkrankt sind, immer noch Lieder mitsingen. Die Erinnerung an Musik bleibt Menschen bis zuletzt, wie der bekannte Neurologe Oliver Sacks in seinem Buch „Der einarmige Pianist“ beschreibt.
Selbstfürsorge und Selbstverteidigung
Ältere Menschen, die unter Einsamkeit leiden, können sich auch an den gemeinnützigen Verein Silbernetz wenden. Die Berlinerin Elke Schilling hat ihn ins Leben gerufen, nachdem ein alter Nachbar von ihr einsam gestorben war. Der Mann hatte ihre Hilfe immer abgelehnt. Schilling fragte sich, wie man einsamen oder isoliert lebenden Seniorinnen und Senioren helfen könnte, über neue Kontakte zurück ins Leben finden. Ihre Idee: das Silbertelefon. Zwischen Weihnachten 2017 und Neujahr wurde die kostenfreie Nummer zum ersten Mal freigeschaltet. Inzwischen ist das Hilfetelefon bundesweit zwischen 8 und 22 Uhr erreichbar.
Um sich ans Silbertelefon zu wenden, braucht man keine Krise und kein Problem. Jeder, der den Wunsch hat zu reden, kann anrufen. Auf der anderen Seite sitzen Freiwillige, die zuhören und bei Bedarf auch über Aktivitäten und Angebote vor Ort informieren können. Die Gespräche beim Silbertelefon verlaufen üblicherweise anonym. Wer mehr Kontakt möchte, kann sich für eine Silbernetz-Freundschaft anmelden. Dann wird man einmal in der Woche zu einer festen Zeit von einem ehrenamtlichen „Silbernetz-Freund“ oder einer „Silbernetz-Freundin“ angerufen, sodass sich eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen kann.
Einen guten Überblick über Angebote für ältere Menschen bietet auch die Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Eine Initiative der BAGSO ist beispielsweise der „DigitalPakt Alter“, der die gesellschaftliche Teilhabe und das Engagement Älterer in der digitalisierten Welt stärken will. Wer sich hier umschaut, findet viele Vereine und Gruppen, die sich mit dem Thema beschäftigen, wie etwa das „Internetcafe von Senioren für Senioren“ in Würzburg oder die „SilverSurfer Greifswald“.
Unter den vielen Angeboten für Seniorinnen und Senioren finden sich vielerorts auch Selbstverteidigungskurse für Ältere. Mit solchen Kursen lässt sich nicht nur etwas gegen Einsamkeit tun, sondern auch gegen die Angst, überfallen und ausgeraubt zu werden. Viele Ältere fühlen sich unsicher auf der Straße oder am Bankautomaten – obwohl die Wahrscheinlichkeit, als älterer Mensch Opfer eines Überfalls zu werden, statistisch gesehen eher gering ist.
Spezielle Kurse für Ältere werden an Volkshochschulen angeboten, aber auch an einigen Kampfsportschulen wie beispielsweise in Troisdorf und in Bad Oldesloe. Hier lernen die Seniorinnen und Senioren, wie sie sich im Ernstfall aus gefährlichen Situationen befreien und sich zur Wehr setzen können. Gleichzeitig geht es aber auch ums Gesundheitstraining. Beweglichkeit und Koordination verbessern sich, Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit nehmen zu und die grauen Zellen werden angeregt. Ein weiterer schöner Nebeneffekt: Man trainiert in Gemeinschaft.
Es gibt also viele Möglichkeiten, raus aus der Einsamkeit zu kommen und wieder mehr am Leben teilzuhaben. Denn wie Mitra Kassai es formuliert: Die Welt gehört den Jungen genauso wie den Alten.
Der Artikel erschien zuerst im Online-Magazin Prinzip Apfelbaum, Ausgabe 29, 2024. Das Online-Magazin mit spannenden Porträts, Interviews, anregenden Essays und jeder Menge Tipps rund um die Frage „Was bleibt?“ können Sie kostenlos lesen unter: www.prinzip-apfelbaum.de. © Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum“ unter Verwendung Moises Saman / Magnum
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